VR trifft HR

„Die Effekte sind ungleich größer als beim E-Learning“

Geschrieben von Elisabeth Hussendörfer, Freie Journalistin // Veröffentlicht am 02.05.2025

Studien zeigen, dass VR-Trainings die Lerngeschwindigkeit und den Lernerfolg drastisch steigern können. Und das nicht nur in Bezug auf „Hard Skills“ und praktische Erfahrung. Mihai Streza, Gründer des Weiterbildungsanbieters wondder (www.wondder.io) erklärt, wie VR-Trainings die Wahrnehmung verfeinern und wie dadurch immer bessere Entscheidungen getroffen werden können.

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      Auf Knopfdruck ist man in einer anderen Welt und die fühlt sich sowas von echt an – was seit jeher den Reiz von Videospielen ausmacht, wird auch für den Job immer relevanter.

      Dank VR-Trainings können

      • noch unerfahrene Azubis einen Brand löschen, ohne Verletzungen befürchten zu müssen
      • Operationen durchgespielt werden, ohne Patienten zu gefährden
      • Gebäude wie Windkraftanlagen erst mal immersiv begangen werden – inklusive Anwendungen in schwindelerregender Höhe (für die man „in echt“ vielleicht erstmal einen bestimmten Schein bräuchte)
      • Kommunikations-Skills verfeinert werden – zum Beispiel für das Finden kreativer Lösungen bei schwierigen Gesprächen

      „Realitätsnah und trotzdem risikofrei“ – das macht die Technologie zu einem faszinierenden – und effektiven Werkzeug. Spannend: Das gilt keineswegs „nur“ für technisches Know-how / Hard Skills. Auch Kompetenzen wie Empathie, Entscheidungsfähigkeit oder die Resilienz von Mitarbeitenden können durch die Trainings verbessert werden. Stichwort „ohne Risiko“: Selbst, wenn sich der Avatar in der Simulation gefühlt kaum von einem Gegenüber aus Fleisch und Blut unterscheidet - seine vielleicht hier und da entlarvenden Reaktionen bleiben in der Realität folgenlos.

      © wondder
      Mihai Streza von wondder

      Eines der führenden europäischen Unternehmen im Bereich des immersiven Lernens mit VR ist wondder mit Sitz in Berlin. Gründer Mihai Streza betont, seine Schulungen seien längst nicht mehr auf große Unternehmen beschränkt. „Dank intelligenter Software wird die Einbindung von VR in Schulungsprogramme immer unkomplizierter. Die Entwicklung der Lerninhalte ist zuletzt leichter zugänglich und zudem kostengünstiger geworden.“ Das macht das Ganze zunehmend auch für den Mittelstand interessant. Für Mihai Streza ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Trainings, die bisher vor allem Führungskräften vorbehalten waren, in sämtlichen Unternehmensbereichen Einzug gehalten haben. Zumal Studien zeigen, dass VR-Schulungen die Lerngeschwindigkeit und den Lernerfolg drastisch steigern können.

      wondder – das klingt wie „wonder“, also englisch „Wunder“. Sie haben Ihr Unternehmen sicher nicht einfach so genannt. Worauf spielt der Name an?

      Es gibt ja die Vorstellung, dass jede hinreichend fortschrittliche Technologie nicht von Magie zu unterscheiden ist. Das wird oft zitiert, für meinen Geschmack fast zu oft – aber in diesem Fall passt es, finde ich. Mein magischer Moment war 2018, als ich nach langer Zeit wieder ein Headst aufgesetzt habe. Ich kannte das aus meiner Studienzeit. Damals war die Technologie teuer, umständlich, es gab viele Kabel, die Brillen waren riesig und die Zeichnungen primitiv.

      Und nun?

      Eben, es glich einem Wunder. Ich befand mich wie auf Knopfdruck in einer komplett anderen Welt. Bei der Namenssuche unseres Unternehmens habe ich mich an diesen prägenden Moment erinnert.

      Sie sind eines der führenden VR-Unternehmen in Europa…

      … im Bereich Soft Skills, das stimmt.

      Das betonen Sie?

      Ja, denn viele denken bei VR an technische Anlagen, an die Simulation von Produktionsabläufen. Damit lässt sich viel Geld sparen. Etwa, wenn ich Mitarbeitende für eine Schulung nicht an den Ort des Geschehens bringen muss, wenn sie die Gasturbine oder das Windrad stattdessen im Home-Office realitätsnah vor sich haben beziehungsweise die Anlage begehen können, als würden sie es wirklich tun.

      Aber das ist nicht, worum es bei Ihren Trainings geht?

      Nein. Bei uns steht nicht die Technik im Mittelpunkt der Simulation, sondern der Mensch. Unser Thema ist das immersive Lernen. 2020, als wir losgelegt haben, waren wir damit mit die Ersten in Europa.

      Um welche Bereiche der beruflichen Weiterbildung geht es bei wondder konkret?

      Wir orientieren uns an der gesamten HR-Wertschöpfungskette. Von der Positionierung eines Unternehmens nach außen – Stichwort Attraktivitätssteigerung, Stichwort Rekrutierung von Fachkräften – über die Auswahl und die Einstellung von Mitarbeitenden bis hin zum Exit-Gespräch. Dazwischen haben wir die ganze Bandbreite klassischer Personalentwicklungsthemen vom Feedbackgespräch bis hin zu herausfordernden Situationen, etwa, wenn es ums Thema Krankenstand oder eine anstehende Kündigung geht. Wie wirke ich überzeugend? Begeisternd? Wie komme ich besser auf den Punkt? All das kann man üben. Und das wurde es bisher ja auch schon, allerdings meist nur im Rahmen von Führungskräftetrainings.

      Und das ist jetzt anders?

      Ja, das ändert sich gerade spürbar. Der einzige Grund, warum man solche Trainings den Führungskräften vorenthalten hat, ist meiner Meinung nach der Kostenfaktor. Wenn sich der Fließbandmitarbeiter wünscht, besser kommunizieren zu können und wenn das das Unternehmen 2000 € kostet, ist oft leider klar, dass es heißt: Das kannst du vergessen. Mit unseren Angeboten geht das viel günstiger.

      Inwieweit profitiert ein Produktionsmitarbeiter von besseren kommunikativen Fähigkeiten?

      Es wird leider immer noch viel zu wenig verstanden, dass alle, wirklich alle von besserer Kommunikation profitieren. Schauen Sie, in einem Unternehmen kommen Menschen zusammen, um an einem Thema zu arbeiten. Dazu braucht man Austausch. Je besser dieser Austausch funktioniert, desto besser können sie arbeiten. Wir reden hier über weit größere Effekte als „nur“ ein gutes Betriebsklima. Wir reden über mehr Produktivität.

      Können Sie genauer erklären, was Sie mit Austausch meinen?

      Nun, es gibt beispielsweise im Engineering häufig eine Diskrepanz zwischen bestimmten Themen, mit denen sich das Management beschäftigt und Themen, die in der Produktion sichtbar sind. Erfolg hat mit bestimmten Prinzipien zu tun, das wissen wir schon aus Henry Fords Zeiten. Das Management soll regelmäßig mit der Produktion zusammensitzen. Designer dürfen nicht ohne Ingenieure entwerfen. Wenn man eine Kultur hat, in der Fließbandmitarbeitende buckeln müssen, wird es viel unwahrscheinlicher sein, dass wichtige Themen im Unternehmen nach oben kommen. Vergleichen wir das Ganze doch mal mit dem Thema Gesundheit. 

      Warum das?

      Wenn es eine Möglichkeit gäbe, Mitarbeitende generell gesünder zu machen - das wollte doch wohl jedes Unternehmen. In Sachen Effizienz und Wirtschaftlichkeit würde das absolut Sinn ergeben. Immer mehr Firmen verstehen, dass es sich lohnt, in Sachen beruflicher Weiterbildung über die Führungsebene hinaus zu denken. Ein weiterer wirtschaftlicher Effekt, der zunehmend erkannt wird, ist der der Diversität. Ich denke da zum Beispiel an Philip Morris, einen unserer Kunden…

      Woran denken Sie genau?

      Daran, dass in der Produktion in der Schweiz gerade viele Mitarbeitende in den Ruhestand gehen. Menschen, die ersetzt werden müssen. Und es ist nun mal eine Tatsache, dass die Leute, die der Konzern jetzt einstellt, nicht mehr so aussehen wie vor 30 Jahren. Der Wert von Diversity-Trainings bis in die Produktion hinein ist hier klar erkannt worden.

      Bevor Sie uns mehr darüber verraten, wie Ihre Trainings genau ablaufen: Wie sind Sie 2020 gestartet?

      Ich habe das Unternehmen alleine gegründet und sofort nach Mitgründern gesucht. Während der Arbeit am Konzept für wondder wurde mir klar, was wir brauchen: Einen, der eine Vision hat – das bin ich. Einen, der sie baut – einen CTO. Und drittens jemanden, der verkauft. Ich selbst habe Informatik und Robotik studiert und beschäftige mich seit 20 Jahren mit Personalentwicklungsthemen.

      Sie sind also der Visionär?

      Ja.

      Und wer baut?

      Mein Mitgründer-CTO (Chief Technology Officer) kommt aus der Technologieentwicklung, genauer gesagt aus der Filmindustrie. Er hat sich lange mit Großproduktionen von Special Effects für Filme beschäftigt und damit, wie man Menschen emotional mitnehmen kann.

      Das ist wichtig?

      Das ist entscheidend. Es ist relativ einfach, gute Programmierer zu finden. Aber bei uns kommen Technologie und zutiefst menschliche Themen zusammen. Mittlerweile sind wir übrigens zu zwölft. Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Softwareentwickler, Leute aus der systemischen Beratung, der Kulturszene, aus dem Bereich Film wie gesagt. Insgesamt kommen wir aus sechs Ländern. Ein globales Unternehmen.

      Apropos global: In einem Podcast haben Sie mal gesagt, Sie wollten das globale Bewusstsein anheben, das sei die treibende Kraft von wondder. Was bedeutet das genau?

      Ich bin zutiefst überzeugt, dass die größte Herausforderung für uns Menschen darin besteht, an uns zu arbeiten. Technologisch ist in den letzten zwei Jahrhunderten extrem viel passiert. Vom Bewusstsein her sind wir allerdings, ich sage das mal bewusst provokant, bloß ein ganz kleines bisschen besser geworden.

      Nur ein bisschen?

      Wir sind, plakativ gesagt, angezogene Affen mit Atomwaffen. Und jetzt? Es gibt eine solide wissenschaftliche Basis für Methoden, mit denen wir an uns arbeiten können, um unser Bewusstsein zu entwickeln. Wenn Sie die Forschung zur Entwicklungspsychologie lesen, finden Sie jede Menge Artikel, in denen es genau darum geht.

      Worum genau?

      Das alles überspannende Thema ist für mich der Perspektivwechsel. Wenn ich dazu in der Lage bin, andere Perspektiven einzunehmen, anders zu denken, bekomme ich ein viel komplexeres Bild von dem, was gerade passiert. Im Ergebnis kann ich viel bessere Entscheidungen treffen. Ein Modell, mit dem wir arbeiten, ist das persönliche Coaching.

      Mit Hilfe von KI und VR?

      In den Unternehmen, mit denen wir arbeiten, werden schon auch weiterhin echte Coaches eingesetzt. Ich vergleiche das gerne mit dem Gang ins Fitnessstudio. Es macht durchaus Sinn, ab und zu einen Trainer zu Rate zu ziehen. Aber zwischendurch mache ich die Übungen alleine. Unser System sammelt Daten und wertet sie aus, daher kann das nächste Gespräch mit der Führungskraft dann viel zielgerichteter laufen. Nehmen wir einen Mitarbeiter aus dem Vertrieb, der zig Gesprächssituationen virtuell durchgespielt hat. Wie hat er gesprochen? Welche Punkte hat er adressiert? Hat er beim Sprechen Pausen gemacht? Zu viele? Auf all sowas kann dann im Feedbackgespräch eingegangen werden.

      Sie sagten gerade, der persönliche Coach sei ein Modell. Was bieten Sie noch an?

      Modelle, bei denen man als Anwender mit sich selbst spricht. Für die kreative Lösungsfindung wird mit Elementen aus der Gestalttherapie gearbeitet. Wie bei dieser Therapieform üblich gibt es einen leeren Stuhl, auf den man ein Gegenüber projiziert. Was würde XY dazu sagen? Was könnte das Thema hinter dem Thema sein? Was da entsteht, ist sehr spannend. Es ist keine KI beteiligt, es kommt kein Input von irgendjemandem. Trotzdem ist der Erkenntnisgewinn erstaunlich.

      Aber der so genannte persönliche Coach ist KI-gesteuert, richtig?

      Das ist richtig. Generell kann man in zwei Kategorien unterscheiden. Entweder arbeite ich selbst mit und in der Kategorie. Oder ich habe eine hybride Technologie, die Dinge vorgibt. Allen Trainings gemein ist das Rollenspiel.

      Können Sie ein wenig genauer erläutern, wie das Ganze abläuft?

      Nehmen wir wieder das Beispiel Vertrieb. Vielleicht sollen die Mitarbeitenden lernen, besser zu verhandeln. Und sagen wir, ich bin so ein Mitarbeiter. Dann setze ich die VR-Brille auf und befinde mich in einer komplett computergenerierten Welt. Ich bin zum Beispiel im Büro, am Schreibtisch, ich soll gleich ein Gespräch mit Kunden XY führen. Die Tür geht auf, XY betritt den Raum - ein von uns programmierter Avatar.

      Was heißt das: Von Ihnen programmiert?

      Dass diese computergenerierte Person eine Rolle bekommen hat, die sie spielen soll. Der Avatar versteht genau, was ich sage. Es gibt keine Auswahl-Menüs oder so etwas. Möglicherweise geht es darum, Rechenzentrumskapazitäten zu kaufen. Der Einkäufer – also der Kunde - will sparen. Der Verkäufer – also ich - will einen guten Deal. Nur, um ein konkretes Beispiel zu nennen. Mit der Raiffeisenbank in Österreich arbeiten wir gerade zu genau diesen Themen.

      Und wer bestimmt das Ziel, was genau wird angestrebt?

      Manche Kunden haben recht genaue Vorstellungen vom Ergebnis, sagen uns, wie die Mitarbeitenden mit den Kunden sprechen sollen. Andere sind mit einem offenen Modell zufrieden und nutzen gängige Methoden, die wir schon implementiert haben. Letztlich geht es darum, dass alle Mitarbeitenden geschult werden. Vielleicht ist es dem Unternehmen wichtig, dass man beim Kunden nicht mit der Tür ins Haus fällt. Oder es geht zumindest in den ersten zehn Minuten nur darum, zu verstehen, was das Gegenüber will. Wenn das System dann die Rückmeldung gibt: Du hast schon in der dritten Minute Fragen gestellt und in der vierten warst du bereits beim Vertrag, ist das Feedback eindeutig. Solche Effekte sind ungleich größer als beim E-Learning.

      Warum ist das so?

      Das hängt schlicht mit der Art und Weise zusammen, wie unser Gehirn arbeitet. Vereinfacht gesagt ist das Gehirn darauf ausgerichtet, Energie zu sparen. Wenn wir etwas lernen und uns dabei bewegen, dann wird das als Aktivität mit hoher Bedeutung interpretiert. Nicht umsonst gibt es immer mehr Mitarbeitende, die Gespräche auf dem Laufband führen – ich selbst übrigens auch. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen beim Spazierengehen besonders gut lernen.

      Wie ist das bei Ihren Trainings? In wie weit bewegen sich die Anwender?

      Sie tun das grundsätzlich. Sie laufen, drehen sich um, gestikulieren. Das passiert alles ganz natürlich, wie im richtigen Leben.

      Wer bucht eigentlich die Trainings?

      Unser Kundenstamm ist völlig branchenunspezifisch, er reicht vom Finanzsektor bis hin zum Automobilhersteller. Wir haben Technologieunternehmen und eine ganze Reihe von Firmen aus dem Bereich Engineering. Allen Kunden gemeinsam ist die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Klar, im Training selbst gibt es immer mal wieder Teilnehmende wie die Dame neulich, die mürrisch dreinschaute und sagte: „Ich bin da sehr skeptisch“. Wobei das eigentlich absurd ist.

      Was?

      Zu glauben, dass diese Technologie nichts mit Menschen zu tun hat. Schließlich haben wir Menschen die Technik ja entwickelt. Und sie entwickelt sich rasant. Es gibt Prognosen, die bis zum Jahr 2030 mit einer Milliarde VR-Brillen weltweit rechnen. Das Gartner Forschungsinstitut geht davon aus, dass VR im Jahr 2028 in die produktive Phase geht. Das bedeutet: Jeder kennt und versteht diese Technik dann. VR hat nichts mit Mode zu tun. Mode kommt und geht. VR wird nicht wieder verschwinden.

      Was bekommen Sie an Rückmeldungen von ihren Kunden?

      Bei denjenigen, die eine solche Brille zum ersten Mal in ihrem Leben auf- und dann wieder absetzen – und das sind die meisten –, gibt es fast immer ein großes Wow. Man ist überrascht, wie echt sich das alles anfühlt. Dass man wirklich mit diesen Avataren sprechen kann, und zwar in allen möglichen Sprachen. Das zweite Wow kommt dann oft mit etwas Abstand und hat mit dem Perspektivwechsel zu tun. Vieles, was man bisher für „die“ Realität gehalten hat, relativiert sich. Möglicherweise erkennt man: Andere erleben das ja ganz anders.

      Ein Beispiel?

      Männer sind oft beeindruckt, wenn sie mal eine Zeit lang in die Rolle einer Frau geschlüpft sind. Bei uns wird ein Mann mit durchschnittlich 1,80 Meter verkörpert, Frauen sind 1,65 Meter groß. Da kann es schon mal zu Irritationen kommen oder aber man ist genervt, weil: „Ich musste die ganze Zeit zu den anderen raufschauen.“ Solche Erfahrungen können augenöffnend sein.